Pause machen ist kein Zeichen von Schwäche: Interview mit Autorin Heike Klümper-Hilgart
1. „Pause machen halten viele Frauen für ein Zeichen von
Schwäche. Stimmt das?“
Ob nur Frauen das so sehen, möchte ich nicht behaupten. Meiner Erfahrung nach
tendieren wir Frauen jedoch dazu, uns selbst mehr abzuverlangen, als manchmal nötig ist.
Wir glauben immer noch, mehr leisten zu müssen als unsere männlichen Kollegen, um
beruflich voranzukommen. Wir haben oftmals ein kritischeres Selbstbild oder
Selbstverständnis und neigen dazu, überspitzte Anforderungen an uns selbst zu stellen.
Ausserdem sind es nach wie vor wir Frauen, die eher unter einer Doppel- oder
Mehrfachbelastung leiden. Oftmals fühlen wir uns alleine verantwortlich, alles unter einen
Hut bringen zu müssen: Familie und Beruf, Haushalt, die Betreuung kranker Kinder oder
pflegebedürftiger Eltern. Damit uns das gelingt, stellen wir unsere eigenen Bedürfnisse
hinten an und merken es oft erst, wenn es zu spät ist.
Wer von uns hat den folgenden Satz nicht auch schon oft gehört: „Mensch, mach doch
mal eine Pause!”- Und… haben wir den Rat dann befolgt? Nein?
“Ich hab’ jetzt keine Zeit. Ich bin im Stress. Ich muss das noch fertig machen… ich kann
jetzt nicht… vielleicht später…” Wie oft habe ich das im Laufe meines Lebens gedacht oder
laut gesagt. Wie oft habe ich keine Pause gemacht und stattdessen meine Kraft ausgebeutet
und meine Energie ausgeschöpft, ohne rechtzeitig auf meine Regeneration zu achten…
Sicher habe ich auf diese Art und Weise oftmals viel länger für eine Aufgabe gebraucht oder
sie in minderwertiger Qualität abgeliefert, als wenn ich rechtzeitig unterbrochen hätte, mir
eine Pause gegönnt und mich dann – mit frischer Energie und voller Tatendrang – erneut an
die Arbeit gemacht hätte.
Aber geht es uns nicht oft so? Wir wollen nur noch schnell diese Präsentation
fertigmachen, die Wäsche aufhängen, die Emails checken, die Hausaufgaben der Kinder
kontrollieren, die Kartoffeln aufsetzen… Ist es nicht interessant, was uns alles einfällt, das
„vermeintlich wichtig“ ist und unbedingt noch erledigt werden muss, bevor wir überhaupt
bereit sind, über eine Pause auch nur nachzudenken? Obwohl wir eigentlich genau spüren,
dass wir sie nötig haben…?
Für Pausen nehmen wir uns doch in unserer Gesellschaft, die von überzogener
Leistungsbereitschaft geprägt ist, wenig oder gar keine Zeit. Warum gönnen wir uns keine
Pause – bevor aus dem „vielleicht später“ unter Umständen ein „zu spät“ geworden ist…?
2. „Du hast selbst deine ganz eigenen Erfahrungen mit dem
Thema Pausemachen und dem anderen Extrem, der totalen
Erschöpfung …“
Ich bin heute davon überzeugt, dass ich selbst viel zu lange auf der Überholspur des
Lebens unterwegs war. Ich habe immer versucht – meinem eigenen Anspruch entsprechend
– dem Bild einer disziplinierten, ehrgeizigen und erfolgreichen Powerfrau gerecht zu werden.
Über Jahre war ich fasziniert von meiner eigenen schier unbegrenzten Energie. Ich war
unendlich stolz darauf, über eine vermeintlich unerschöpfliche Leistungsfähigkeit zu
verfügen! Liebevoll gemeinte Warnungen von Familie und Freunden, doch einen Gang
zurückzuschalten, oder auch mal „alle Fünfe gerade sein“ zu lassen, habe ich nur mitleidig
lächelnd ignoriert. Ich doch nicht…
Ich frage mich allerdings, wie ich es geschafft habe, den Jetlag der vielen Reisen,
den ständigen Termindruck, die gefühlte alleinige Verantwortung für den Haushalt und die
Herausforderungen einer Fernbeziehung mit Patchwork-Familie so lange auszuhalten.
Zumal ich zusätzlich meistens auch noch die Wochenenden verplant hatte. Mit
Familienaktivitäten, Kinderprogramm, Golf spielen, Treffen mit Freunden oder auch dem
Besuch von kulturellen Veranstaltungen.
Die Bedeutung von Pausen hatte ich komplett ignoriert. Die möglichen gesundheitlichen
Folgen völlig unterschätzt – bis mir schlussendlich die Rechnung präsentiert wurde: Ich
wurde im Laufe der Zeit immer müder und unkonzentrierter. Meinen Feierabend konnte ich
nicht mehr genießen, weil ich nur völlig erschlagen auf dem Sofa lag – ohne wirklich
abschalten zu können. Doch ich habe mich immer weiter permanent selbst unter Druck
gesetzt. Selbstverständlich habe ich dadurch auch meine Gesundheit gefährdet. Aber ich
konnte einfach den Ausgang aus dem Hamsterrad nicht finden. Ständig war ich gestresst
und fand keine Erholung mehr – weder am Feierabend, noch am Wochenende, noch im
Urlaub. Schlafstörungen und andere Symptome waren die Folge – bis eines Tages gar nichts
mehr ging … Heute weiss ich es besser: Das muss nicht sein – es geht auch ganz anders!
3. „Du sagst, Pausen sind wichtig. Warum ist das so?“
Eigentlich wissen wir doch alle: Ohne Pausen geht es nicht. Sie sorgen für einen
reibungslosen Ablauf von beruflichen, gesellschaftlichen oder kulturellen Veranstaltungen
jeglicher Art. Nichts funktioniert ohne sie. Kein Meeting oder Workshop, kein Unterricht, kein
Theater, kein Turnier oder Sportveranstaltung. Sogar unserer Sprache beinhaltet sehr viele
Begriffe mit dem Wort „Pause“: Sommerpause, Halbzeitpause, grosse Pause, Kaffeepause
oder Rauchpause. Sendepause, Atempause, Denkpause oder Beziehungspause. Es gibt
das Pausenzeichen, die Pausentaste oder den Pausenton. Und es gibt das bedeutungsvolle
Wort „pausenlos“… Selbst unser Herz schlägt nur mit Pausen.
Wie im Sport, so basiert auch unsere geistige Leistung auf einem ausgewogenen
Zusammenspiel von Belastung und Erholung. Aus der Sportwissenschaft wissen wir, dass
unsere Muskeln nicht während des Trainings, sondern in den anschließenden Ruhepausen
wachsen. Ähnlich verhält es sich auch mit unserem geistigen Leistungszuwachs, der erst
nach einer Konzentrationsphase während der Erholung stattfindet. Auch hier können die
Energiereserven nur in den Pausen wieder aufgefüllt werden.
Regeneration spielt daher eine wichtige Rolle. Wir Menschen sind eben keine
Maschinen. Pausen sind unerlässlich für die Erhaltung unserer Gesundheit und unseres
Energiehaushalts. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Pausen nicht nur
die Konzentrationsfähigkeit sowie die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit erhalten,
sondern sogar noch steigern. Ausserdem reduzieren Pausen das Unfallrisiko und beugen
Verspannungen bzw. Stress vor.
Wer pausenlos durcharbeitet, ist nicht nur müde und erschöpft, er ist auch
unkonzentrierter und macht deswegen mehr Fehler. Ohne Pausen benötigt man mehr
Energie und Zeit und schafft letztendlich doch nur weitaus weniger. Wer aber seinem Körper
und Geist in regelmäßigen Abständen kurze Pausen gönnt, fühlt sich frischer und
ausgeruhter und ist in der Lage, in deutlich kürzerer Zeit mehr zu erledigen.
Der Verzicht auf eine „Arbeitsunterbrechung mit Erholungscharakter“ – so die präzise
Definition einer Pause – kann sich allerdings negativ auf unsere Gesundheit auswirken.
Übermüdung, Verspannung, Gereiztheit, Frust, Leistungsabfall, Überforderung und
Hoffnungslosigkeit sowie das Risiko, ernsthaft zu erkranken, können mögliche Folgen sein.
Erschreckend ist allerdings, wie viele Menschen gar nicht mehr richtig entspannen
können und unter sogenannten Stress-Folge-Erkrankungen leiden. Diese durch
andauernden Stress ausgelöste Erkrankungen gehören inzwischen zu den weltweit
schwerwiegendsten und bedeutendsten Krankheitsbildern. Studien belegen, dass bis zu
20% der Bevölkerung von Stress-Folge-Erkrankungen in unterschiedlicher Erscheinungsform
und Schweregrad betroffen sind. Aus diesem Grund hat die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) Stress bereits vor einigen Jahren als eine der größten Gesundheitsgefahren der
Gesellschaft des 21. Jahrhunderts eingestuft.
Eine Studie der Uni Zürich zeigt z.B., dass Raucher produktiver arbeiten als
Nichtraucher. Der Grund liegt auf der Hand – die gute alte Raucherpause 🙂 Natürlich sollen
wir deswegen nicht alle gleich mit dem Rauchen anfangen – aber warum macht niemand
regelmässig eine „Nichtraucherpause“?
4. „Welchen Tipp gibst du Frauen, die das akute Gefühl haben,
kurz vorm Ausbrennen, der totalen Erschöpfung, zu stehen?“
Entspannungsphasen sind essentiell für die Erhaltung unserer Erholungsfähigkeit.
Deswegen ist es wichtig, regelmässig Pause zu machen. Aber richtig! Denn auch Pausemachen
will gelernt sein. Glaub ja nicht, dass es völlig egal ist, was du in einer kurzen
Ruhepause machst… Denn Kaffee trinken, während du deine Emails liest, ist keine gute
Idee.
Steh lieber kurz auf. Verlasse den Schreibtisch. Vielleicht hast du sogar die Chance,
kurz frische Luft zu schnappen. Oder wenigstens aus dem Fenster zu schauen. Das wird dir
helfen, den Kopf wirklich frei zu bekommen. Du fragst dich, wie du das – vor allem in
stressigen Phasen deines Alltags – bewerkstelligen sollst?
Gerade wenn du das Gefühl hast, dass dir die Zeit davonläuft oder deine Energie
nicht mehr ausreicht, dann solltest du unbedingt eine kurze Pause einlegen, so paradox das
auch klingen mag. Frei nach Lothar Seiwerts „Geh langsam, wenn du es eilig hast“ empfehle
ich dir: Mach Pause, wenn du keine Zeit hast! Zwing dich dazu. Es ist dein Recht und deine
Pflicht deiner Gesundheit gegenüber. Du wirst sehen, dass du anschließend erholter und
konzentrierter wieder an deine Aufgaben gehen kannst. Sie werden dir schneller, leichter
und besser von der Hand gehen und du wirst dich anschließend weniger erschöpft fühlen.
Welcher Pausentyp bist du? Leider gibt es für die persönliche Pausenkultur kein
Patentrezept. Du musst den für dich besten Weg finden. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass
die Bereiche deines Gehirns, die konzentriert gearbeitet haben, während einer Pause
verschnaufen können. Das erreichst du, indem du die Pause nutzt, um etwas ganz anderes
zu machen. Wenn du körperlich arbeitest, solltest du dich hinsetzen und ausruhen, wenn du
hingegen am Schreibtisch sitzt, solltest du aufstehen und dich bewegen.
Entscheidend ist auch, dass du prophylaktisch, also vorsorglich – und vor allem
regelmäßig Pausen machst. Nicht erst dann, wenn du schon müde bist oder deine
Konzentrationsfähigkeit abgenommen hat.
Wann der richtige Zeitpunkt ist, spürst du selbst am besten. Nur du alleine weißt, wie du
dich fühlst. Nur du alleine merkst, ob du noch bei der Sache bist. Dein Körper weiss genau,
wann es Zeit für eine Pause ist und sendet Dir untrügliche Signale. Du kannst lernen, sie zu
erkennen und zu respektieren. Es ist eigentlich ganz einfach:
• Du bist reizbar und genervt.
Ein Kollege telefoniert so laut, dass du ihn am liebsten erwürgen würdest. Oder
irgendein Depp hat schon wieder vergessen, das Papier im Drucker nachzulegen…
Wenn Kleinigkeiten, über die du normalerweise hinwegsiehst, dich zu nerven
beginnen, dann wird es Zeit für eine Pause.
• Du bist unkonzentriert.
Jetzt hast du diesen Abschnitt bereits zum wiederholten Mal gelesen – ohne wirklich zu
verstehen, worum es geht. Immer wieder schweifen deine Gedanken ab und du musst
ständig von vorne beginnen… Dein Gehirn verlangt dringend nach einer
Erholungspause.
• Du bist unmotiviert.
In Gedanken bist du ganz woanders. Nichts scheint dir mehr leicht von der Hand zu
gehen und du möchtest nur noch schnell fertig werden. Egal wie, Hauptsache fertig…
Nimm eine kurze Auszeit. Das wird dir helfen, wieder motiviert und auf Qualität bedacht
weiter zu machen.
• Du bist müde.
Nur noch mit Mühe kannst du deine Augen offenhalten. Du würdest dich am liebsten
einfach hinlegen… Ein bisschen Bewegung wird dir durch dieses Leistungstief helfen.
• Du machst Fehler.
So ein Misst, schon wieder hast du den Anhang vergessen. Oh nein – so viele
Tippfehler, das kann doch nicht sein… Gönn dir ein paar Minuten Entspannung – du
wirst sehen, dass es viel besser weitergeht!
5. „Gehst du selbst mit gutem Beispiel voran? Und wenn ja – wie
gelingt es dir?“
Ich achte heute wirklich darauf, regelmässig Pausen zu machen. Gelingt mir das
immer? Nein, natürlich nicht. Aber immer öfter. Selbst wenn ich mich ab und zu dabei
ertappe, dass ich vertieft in einen Text, oder fasziniert von einem Thema, die Zeit vergessen
habe, unterbreche ich sofort, stehe auf, gehe raus oder mache etwas ganz anderes… Und
ich merke, wie gut mir das tut. Pause machen, das ist Urlaub für Körper, Geist und Seele.
Das sind kleine Auszeiten vom Job, von der Familie, von mir selbst. Das ist Zeit für mich.
Manchmal reichen kurze fünf bis zehn Minuten für meine innere Einkehr, für meine Power.
Um Kraft zu tanken und die Energiereserven aufzufüllen. Um fit zu sein für die nächste
Aufgabe, die neue Herausforderung oder einfach nur für mich.
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